FDP-Kreistagsfraktion Mainz-Bingen
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Redebeitrag von Helga Lerch / FDP-Kreistagsfraktion zum Haushalt 2015


12. Dezember 2014

Sehr geehrter Herr Landrat, meine Damen und Herren,

die Eckdaten des Haushalts 2015 ermahnen uns. Es gilt – viel stärker als dies im letzten Jahr noch der Fall war – Balance zu halten, Weitblick zu praktizieren und eine realistische Risikobewertung vorzunehmen. Das „Ende des Höhenflugs“ – wie die Allgemeine Zeitung vom 4. November 2014 schreibt – ist erreicht. Das Haushaltsvolumen ist deutlich zurückgegangen und wird auch in Zukunft nicht mehr steigen. Entsprechende Prognosen wurden von der Verwaltung offen gelegt.

Es gehört deshalb auch Mut dazu, politische Schwerpunkte zu setzen und nicht alle Wünsche umzusetzen. Die FDP-Fraktion will deshalb mit dieser Haushaltsrede deutlich machen, wo wir als FDP diesen Mut aufbringen und wo wir ein Fragezeichen bzw. ein deutliches NEIN setzen.

Vorsorge und Weitblick

Politisch verantwortungsbewusst handeln, heißt die Zukunft in den Blick zu nehmen. Deshalb muss VORSORGE ein Teil dieses Haushalts sein.

Die FDP-Fraktion begrüßt deshalb die weitere kontinuierliche Aufstockung der Pensionsrückstellungen. Wir begrüßen die notwendigen Investitionen in den Straßenbau, Radwegebau und die Schulen. Wir halten die Ehrenamtsförderung in Höhe von 1 Mio Euro und die Sportförderung im Bereich der Hallen in Höhe von 1,5 Mio Euro für angemessen und politisch von uns gewollt.

Kreispolitik – meine Damen und Herren – hört nicht an den Kreisgrenzen auf. In überdeutlicher Form spüren wir die Einflüsse internationaler Krisen- und Konfliktherde bei uns vor der Haustür. Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten suchen Schutz und Hilfe in stabilen politischen Verhältnissen. Flüchtlinge suchen eine Bleibe und wir sind nach der Gesetzeslage und aus Respekt vor der Menschenwürde verpflichtet, Hilfe zu praktizieren. Ich möchte an dieser Stelle all jenen Dank sagen, die uneigennützig – oftmals als Nachbarn oder Bürger einer Gemeinde – unkonventionell und schnell unter die Arme greifen – sei es mit einem Gang zu einer Behörde, ein paar Kleidungs- oder Möbelstücken, Spielsachen für Kinder von Flüchtlingsfamilien oder auch nur einer Tasse Kaffee als Ausdruck praktizierter Mitmenschlichkeit. DANKE!

Schwer nachvollziehbar ist deshalb die Entscheidung Herr Bucher – Ortsbürgermeister von den Grünen der Gemeinde Sprendlingen – wenn sie eine Flüchtlingsunterkunft mit den Worten verhindern „Sprendlingen sieht seine Zukunft im sanften und nachhaltigen Tourismus“ und nicht in einer Flüchtlingsunterkunft. „Man kann eine bestehende Infrastruktur eines Ortes nicht kaputtmachen.“ (Zitat aus der Allgemeinen Zeitung vom 27. November 2014)

Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Kreis Initiative zeigt und 2 Mio Euro im Ansatz für die Unterbringung von Flüchtlingen bereit stellt. Auch die neu geschaffene Stelle im Bereich „Asyl“ – ein Kümmerer für alle Integrationsbelange – ist ein richtiger Schritt. Das Angebot an Deutschkursen bewerten wir ebenfalls als richtigen Schritt sprachliche Eingliederung voranzubringen. Völlig unzureichend ist dagegen die schulische Integration von Flüchtlingskindern. Derzeit werden diese in die Realschule plus ggf. auch in berufliche Systeme aufgenommen, können kein Wort Deutsch und somit naturgemäß auch nicht dem Unterricht folgen. Unzureichende Parallelsysteme werden in den entsprechenden Schulen versucht aufzubauen. Wir beantragen deshalb als FDP die Entwicklung und Vorlage einer Konzeption, wie der Kreis zukünftig in diesen Problemlagen verfahren will.

Ein anderes Thema, in welchem Vorsorge von Nöten ist, ist das Thema Wirtschaftsförderung. Der Kreis ist verpflichtet alles zu tun um ansiedlungswillige Betriebe positiv zu begleiten. Wir bringen deshalb als FDP heute einen Antrag ein, in welchem wir dazu auffordern die Vermarktung von Industrieflächen im Landkreis voranzutreiben. Zusammen mit den Standortgemeinden fordern wir die Kreisverwaltung auf, ein qualifiziertes Vermarktungskonzept zu entwickeln. Dies sollte bereits zur Expo Real 2015 zum Einsatz kommen. Wir brauchen eine Verteilung unserer Wirtschaftskraft auf viele Standorte sowie kleine und mittelständische Betriebe und keine Konzentration auf einen Standort und einen Großbetrieb um Risiko zu minimieren.

Vorsorge gilt es ebenfalls zu treffen im Bereich der im neuen Schulgesetz verankerten Pflicht zur Inklusion. Ist der Kreis hier umfassend aufgestellt? Stehen Elternrecht und Anbieterpflicht in einem kalkulierbaren Verhältnis? Wir als FDP meinen, dass wir erst am Anfang einer Entwicklung stehen, die vorausschauendes Handeln verlangt. Die FDP hat deshalb – jenseits der Haushaltsdiskussion – heute einen Antrag eingebracht, den ich an späterer Stelle noch eingehend erläutern werde.

Risiko und Verantwortung

Ich komme zum zweiten großen Aspekt meiner Haushaltsrede, die ich den Themen „Risiko und Verantwortung“ widmen möchte.

Meine Damen und Herren,

am 31. August 1990 fand in Oberdiebach in der Sporthalle der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe eine Kreistagssitzung statt. Punkt 6 der Tagesordnung sah die Ansiedlung der Firma Schott Glaswerke auf dem Gelände der Firma Richtberg in Bingen-Kempten vor und die Beteiligung des Landkreises an der Sanierung des ehemaligen Grundstücks Richtberg. Für die FDP-Kreistagsfraktion nahm damals das Mitglied Helga Lerch Stellung. Ich zitiere aus dem damaligen Protokoll: „Uns von der FDP fehlt das Verständnis für eine lex Richtberg. Die FDP ist bestürzt über die Leichtfertigkeit, mit der der Verursacher der Kontamination aus seiner Verantwortung entlassen worden ist. Die Gesamtkosten betragen vorerst 34 Mio DM, der Anteil des Verursachers sind lächerliche 350.000 DM. Dies ist skandalös. Der Fall Richtberg ist ein Schlag ins Gesicht all jener Menschen, die sich bemühen, sorgsam mit der Natur und ihren begrenzten Ressourcen umzugehen, auch ein Schlag ins Gesicht all jener Betriebe und Gewerbetreibenden, die peinlich auf die Einhaltung von Umweltschutzbestimmungenen achten.“ Weiter hatte ich in meinem damaligen Beitrag auf den Bund der Steuerzahler verwiesen, der sagte: „Es ist nicht länger hinzunehmen, dass aus Sorglosigkeit oder Profitstreben jahrelang die Umwelt verseucht wird, und dann wenn die Katastrophe da ist, der Steuerzahler einmal mehr der Zahlmeister sein soll“.

Meine Damen und Herren, fast 25 Jahre nach diesem Ereignis holt uns mit dem Haushalt 2015 die Vergangenheit wieder ein. Nach 25 Jahren leistet der Landkreis die letzte Zahlung in einem traurigen Kapitel mangelhafter Vertragsgestaltung, fehlender Transparenz und überstürzter Entscheidungen.

Für die SPD-Fraktion nahm damals übrigens Mitglied Schick Stellung.

Der Fall Richtberg muss Mahnung sein jetzt und für alle Zukunft!

Der nächste Punkt unter der Überschrift „Risiko“ gilt dem Thema „Finanzausgleich“. Finanzpolitisch nimmt der Landkreis Mainz-Bingen eine Sonderstellung unter allen Landkreisen ein. Demgegenüber hat sich vor wenigen Tagen ein Aktionsbündnis aus hochverschuldeten Städten in Rheinland-Pfalz gegründet, die nicht länger zusehen wollen, wie durch landes- und bundespolitische Entscheidungen der Aufgaben- und Verpflichtungskatalog der Kommunen immer größer wird, ohne dass dafür entsprechende Ausgleiche geschaffen werden. Die Verpflichtung zur Konnexität wird eingefordert. Gleichzeitig wird der Ruf immer lauter, dass jene Kreise, die wirtschaftlich stark sind, Ausgleiche für die Schwachen schaffen sollen.

Ich möchte ein konkretes Beispiel geben, um den praktischen Hintergrund zu beleuchten. Ein Kind will eine weiterführende Schule an der Kreisgrenze Mainz-Bingen gelegen, besuchen. Durch die von der ADD und den Schulträgern durchgeführte Lenkung der Schülerströme, wird dieses Kind „gelenkt“ und zwar in eine Schule, die einem anderen Schulträger zugerechnet werden muss. Dort ist aber die Schulinfrastruktur bedeutend schlechter als im Landkreis Mainz-Bingen. Das heißt: Wenige Kilometer entscheiden unter Umständen über den infrastrukturellen Schulalltag eines Kindes. Das schreit förmlich nach Ausgleich!

Für die zukünftigen Haushaltsentscheidungen heißt dies nicht mehr und nicht weniger, dass Solidarität der Singularität weichen wird. Darauf sollten wir uns einstellen!

Als weiteren Risikofaktor sieht die FDP-Fraktion die enorme Verschuldung des Landes. Auch im Haushalt 2015 sind die Abrechnungsmodalitäten zwischen Kreis und Land zu kritisieren. Die Abrechnungszeiträume wurden zu Lasten der Kreise verschoben. Auf die inhaltliche Seite – Stichwort Konnexität – bin ich bereits eingegangen. Gleiches gilt für die Bezuschussung zu Bauprojekten, die bereits schon im letzten Jahr zurückgefahren wurde.

Meine Damen und Herren,

die geschilderten Risikofaktoren belasten die Planbarkeit. Deshalb müssen wir bei den Entscheidungen für den Haushalt 2015 mit politischem Weitblick agieren.

Diesen Weitblick vermisst die FDP-Fraktion bei nachfolgenden Themen, die ich mit der Überschrift „Sonderbar“ umschreiben möchte.

Sonderbar

Sonderbar ist, dass der Haushalt investive Maßnahmen vorhält, über die noch keine Planungsmodalitäten vorliegen. Die Kreisvolkshochschule soll einen Neubau erhalten. Auf dem Gelände der Kreisverwaltung. Die letzte Rundung wird zur Ecke, aus der Kreisverwaltung wird eine „Eckverwaltung“. Es wurden keine Bedarfsplanungen vorgelegt, keine Bauplanungen. Allerdings vernahm ich staunend, dass der Landrat dort ein sogenanntes „Repair-Café“ einrichten will. Haben wir jetzt kreiseigene Betriebe?

Jüngst hat der Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim (SPD) ein Angebot zur Anmietung von Räumen in dem neu zu errichtenden WBZ an den Landrat des Kreises Mainz-Bingen (SPD) gemacht. Wir brauchen keinen Neubau einer Kreisvolkshochschule, wenn in unmittelbarer Nähe geeignete, zeitgemäße Räumlichkeiten entstehen. Auf ihr Stimmverhalten, Herr Kissel, in dieser Angelegenheit bin ich gespannt.

Ähnliches gilt für den Bau einer Tiefgarage. Hier vermissen wir ebenfalls konkrete Planungsmodalitäten.

Und schließlich fällt unter das Kapitel „Sonderbar“ der Stellenplan 2015.

Bei 65 Positionen hat der Rechnungshof Monita eingelegt. „Kw“-Vermerke (= kann wegfallen) wurden dem Stellenplan hinzugefügt. In vielen Fällen begleitet von fragwürdigem Staunen ob der vom Rechnungshof dargelegten Begründungen. Sie selbst Herr Landrat, haben mir in der letzten Kreistagssitzung in einem Punkt sogar Recht gegeben und eingeräumt, dass die ADD das Problem sei, da sie den Stellenplan genehmigen müsse. Wir haben als FDP-Fraktion eine Anhörung beantragt, die einen speziellen Punkt des Stellenplanes herausgreift. Der Kreistag hat dieser Anhörung einstimmig seine Zustimmung erteilt. Da Sie trotz meines Briefes, Herr Landrat, diese Anhörung v o r die heutige Sitzung zu legen, abgelehnt haben, frage ich mich, wie das Fundament der Entscheidung aussieht, wenn wir heute entscheiden, aber im Februar erst durch eine Anhörung fundierte Informationen erhalten. Kurz und gut – einer weiterer Aspekt unter dem Kapitel „Sonderbar“.

Und nun zu dem letzten Kapitel meiner Haushaltsrede, das ich mit dem Satz „Der Fluch des vielen Geldes“ umschreiben möchte. Der Satz entstammt nicht meiner Feder, sondern einem Mitglied der FWG-Fraktion, das damit zum Ausdruck bringen wollte, wenn man zu viel Geld hat, entstehen seltsame Bedarfe. Wie wahr!

Zu den Anträgen meine Damen und Herren,
diese umfassen in Summe 610.000 Euro an zusätzlichen freiwilligen Ausgaben. Ausgaben, die uns nicht nur heute, sondern auch in der Zukunft begleiten werden.

Es mutet schon sehr seltsam an, dass Sie Herr Malkmus noch vor 3 Jahren eine Koalitionsvereinbarung unterschrieben haben, in der die Haushaltskonsolidierung oberstes Ziel war und Sie sich jetzt für Ausgaben einsetzen, die weder die originären Aufgaben des Kreises berühren noch etwas mit Sparsamkeit zu tun haben. Sie wollen 40.000 Euro für die Beauftragten ausgeben und begründen dies mit der Notwendigkeit des Betreibens einer „gezielten Öffentlichkeitsarbeit“. Die Gleichstellungsstelle arbeitet seit Jahren mit einer geringeren Summe und der Beirat für Migration und Integration kämpfte vor 5 Jahren um eine Erhöhung von 5.000 Euro auf 7.500 Euro. Der Beirat legte einen exakten Bedarfsplan vor – dies wünschen wir uns auch von den Beauftragten – legen Sie konkrete Bedarfe vor, dann wird im Kreisauschuss über die Notwendigkeit entschieden.

Als einen schlechten Scherz sehen wir Ihre Forderung nach einer Fahrradabstellanlage im Eingangsbereich der Kreisverwaltung an. In unmittelbarer Nähe gibt es in der reichen Stadt Ingelheim ein Fahrradparkhaus und Sie wollen 20.000 Euro investieren. Unfassbar!

Bezüglich Ihrer Idee eines Förderprogrammes für energetische Sanierung verweisen wir auf entsprechende Programme des Landes und des Bundes. Dies ist definitiv keine Kreisangelegenheit. Sie sprechen sogar von einer „erstmaligen Bereitstellung von 250.000 Euro“ – und sprechen sich damit für eine Fortführung in den nächsten Jahren aus. Untragbar!

Und ein Tierschutzzentrum für 50.000 Euro – auch hier eine freiwillige Leistung des Kreises, die nicht originär in den Aufgabenbereich des Landkreises fällt.

20.000 Euro für die neu einzurichtende Fachstelle „Asyl“ – auch hier gilt, Bedarfe anmelden und dann wird im KA darüber entschieden – nicht umgekehrt.

200.000 Euro für drei weitere Sozialarbeiterstellen fordert die CDU im Rahmen eines – ich nenne es einmal „Asylvorsorgeprogrammes“. Auch hier gilt, dass zunächst einmal die neue Stelle „Asyl“ ihre Arbeit aufnehmen sollte, ehe wir im Vorgriff weitere Stellen schaffen.

Zum Schluss meine Damen und Herren möchte ich zu Ihnen auch als Ingelheimerin sprechen. Es wundert mich überhaupt nicht, dass nunmehr auch schon Leserbriefe in der AZ erscheinen, die das Ausgabeverhalten des jetzigen Haushaltes kritisieren – und da waren die zuvor genannten Anträge noch nicht bekannt. Die Ingelheimer fragen sich immer lauter, ob sie die Kreispolitik mit ihrer hohen Abgabe im Rahmen der Kreisumlage weiter finanzieren sollen. Ich gehe davon aus, dass wenn die Ausgabenpolitik des Landkreises wie in diesem Haushalt beabsichtigt, fortgeschrieben wird, eine Klage der Stadt nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.

Die FDP-Fraktion appelliert deshalb an Sie, keine Zustimmung zu den kostenintensiven Anträgen, keine Zustimmung zu unklaren investiven Maßnahmen zu geben.

Wir werden im Umkehrschluss den Haushalt ablehnen, wenn es eine mehrheitliche Zustimmung zu diesen Punkten geben sollten.

Ich danke Ihnen.

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